Eine Tour auf St.Pauli
Auf dem Kopfsteinpflaster glänzte noch der Regen der letzten Nacht. Über den kleinen Hügel hinweg und zwischen den Häusern hindurch, waren die Kräne des Hafens zu sehen. Maya steuerte ihren Ford in eine Parklücke. Sie hatte es eilig. Wie immer. Eigentlich sollte sie sich Zeit lassen. Sie wurde nach Stunden bezahlt. Aber es machte einfach Laune, durch St. Pauli zu wetzen und das gleiche Tempo wie alle anderen Lieferanten und Boten und Kuriere mitzugehen und das kleine Auto durch die engen Straßen zu prügeln. Ihre Tour hatte gerade angefangen. Im Kofferraum stapelten sich die Flyer und Magazine, die sie in den Kneipen, Cafés und Bordellen ausliefern oder in den Ständern einsortieren musste. Mittlerweile wurde sie von den Kellnern und Restaurant — und Kneipenbesitzern gegrüßt. Seit fast einem Jahr war das jetzt ihre Tour. Einmal pro Woche fuhr sie durch St. Pauli und sie liebte es. Der Job gab ihr das Gefühl, sich auf eine ganz eigene Art mit dem Stadtteil, in dem sie auch lebte, zu verbinden. Sie gehörte dazu und war nicht bloß einfach eine der vielen jungen Menschen, die nach Hamburg kamen, um zu studieren oder zu arbeiten oder sonst was zu tun.
Der Kiez war noch verschlafen und verkatert von der letzten Nacht: die Bars gerade wieder in Schuss gebracht und an den Straßenecken türmten sich Müllberge aus leeren Flaschen, Plastikbechern und MC Donalds Tüten.
Sie parkte eben auf der Seilerstraße. Unter der geöffneten Kofferraumtür, füllte sie eine Kiste mit Flyern. Dazu nahm sie noch mehrere Plakate, gerollt und mit Gummibändern zusammengehalten. In ihrer Hosentasche steckten Tesafilm und eine Schere. Sie ließ das Auto offen, ebenso den Kofferraum, denn von der Ecke Seilerstrasse, Hein — Hoyer — Straße ließen sich gleich mehrere Abnehmer beliefern. In der Trattoria wurde ihr die Tür aufgehalten und aus dem Inneren kam der Ruf: „Ciao — Espresso?“
„Moin,“ rief Maya zurück, „Sehr gerne einen Espresso.“
Dann stopfte sie die Flyer in der vorgeschriebenen Reihenfolge in das Regal. An der Tür klebte ein altes Plakat. Das riss sie runter und klebte ein neues, eines der vielen Musical Ankündigungen an dessen Stelle. Als sie fertig war, machte sie noch Fotos von dem frisch bestückten Regal und von der neu beklebten Tür und lud die Fotos als Beweis ihrer Ordentlichkeit und Pünktlichkeit in der Cloud ihres Arbeitgebers hoch. Ihre Zeit war jetzt dokumentiert, die korrekte Belieferung des Kunden, die Anordnung von Flyern und Plakat. Sogar eine durchschnittliche Arbeitszeit ließ sich errechnen. Auf der nächsten Teamsitzung würde dann wieder verkündet werden, wer der oder die schnellste Cult — Driverin war. Maya hatte da keine Aktien drin.
„Not my monkeys, not my circus,“ sagte sie sich immer dann, wenn sie wieder einmal die schnellste Fahrerin im Team war und die neidischen und fragenden Blicke ihrer Kollegen spürte. Es war ihr selbst nicht klar, wie sie immer so schnell sein konnte. Während sie arbeitete machte sie sich darüber keine Gedanken. Es war einfach ihr Tempo und wenn sie fetzte, arbeitete sie am besten und hatte dann immer noch Zeit für einen Espresso hier, einen kurzen Schnack dort und hatte dabei nie das Gefühl gestresst zu sein. Sie sah es als work-out. Die Tour war ihr Sport. Und gleichzeitig merkte sie, dass die Kunden ihre Arbeitseinstellung schätzten. Nicht umsonst, stand jetzt ein dampfender Espresso für sie auf der Theke bereit.
Gleich war sie wieder am Auto und stopfte die Flyer fürs „Café May“, fürs „Freudenhaus St. Pauli“ und für die „Freudenhaus Bar St. Pauli“ und für die andere Trattoria in ihre Kiste.
Aber sie kam nicht weiter, denn sie hörte jemanden rufen. Auch wenn es nicht ihr Name war, der gerufen wurde, merkte sie in ihrem Rücken, dass sie gemeint war. Maya drehte sich um.
Die Hein — Hoyer — Straße hoch, kam ein Mann auf sie zugelaufen und winkte und rief. Maya glaubte den Mann zu erkennen, konnte ihn aber nicht zuordnen.
„Hallo,“ er hielt vor ihr an, „ich bin Lee, ich arbeite in der Korallbar.“
„Ah,“ meinte Maya, „dann kann ich euch endlich mal beliefern, wenn Du schon da bist.“ Die Korallbar stand zwar auf ihrer Liste, war aber nie erreichbar, da während ihrer Tour meist noch geschlossen, oder gerade erst geschlossen.
„Nee, nee,“ Lee schnaufte tief durch, „deswegen bin ich nicht gerannt.“ Er schaute auf seine Füße. „Du belieferst hier doch die Läden, oder?“
Maya nickte.
„Ich habe eine Bitte. Eine etwas seltsame Bitte, vielleicht. Aber Ich würde dich nicht fragen, wenn ich einen anderen Weg wüsste. Aber ich weiß keinen. Bitte, Du musst etwas für mich tun.“ Lee blickte Maya gerade in die Augen.
„Was willst Du denn, dass ich so dringend für dich tun soll.“ Maya drehte sich wieder zu ihrem Auto und stopfte weiter Flyer in die Kiste.
„Du müsstest etwas für mich übergeben.“
„Aha und was?“„Einen Schlüssel.“Maya drehte sich wieder um, „einen Schlüssel?“
„Ja.“
„An wen?“
„An meinen Bruder.“
„Und das kannst Du nicht selber machen?“
„Nein, ich kann nicht weg und mein Bruder braucht den Schlüssel jetzt, also heute, heute Mittag. Dringend.“
„So…“ Maya stemmte die Fäuste in die Seiten. „Einen Schlüssel, der super wichtig ist und den braucht dein Bruder heute Mittag. Und was schließt der auf, dein Schlüssel?“
„Die Wohnung meines — unseres Vaters.“ Lee streckte ihr einen Schlüsselbund entgegen. „Bitte,“ sagte er dann.
„not my monkeys, not my circus,“ fuhr es Maya wieder durch den Kopf. Dann sah sie Lee wieder ins Gesicht und entdeckte so etwas wie Verzweiflung um seine Augen flackern.
„Und mal angenommen, ich würde den Schlüssel nehmen und ihn zu deinem Bruder bringen und meine Arbeitszeit dafür opfern, was dann?“
„Den Ausfall zahle ich dir natürlich,“ Lee grub in seinen Hosentaschen, „aber Du musst wirklich nur den Schlüssel übergeben, mehr nicht. Ich verspreche es dir.“
„Lass das Geld mal stecken,“ meinte Maya und schob Lees Hand mit einem Fünfziger darin von sich weg. „Wo finde ich denn deinen Bruder?“
„Er ist Türsteher. Beim Eros — Center.“
„Das ist das große Laufhaus auf der Reeperbahn, ja?“
„Ja genau.“
„Und der arbeitet gerade sicher?“
„Ja.“
„Und wie heißt dein Bruder?“
„Thorsten.“
„Lee und Thorsten haben also einen gemeinsamen Vater in einer Wohnung und nur einen Schlüssel zu dieser Wohnung. Soso,“ Maya grinste Lee entgegen. „Na, jetzt lächle mal, ich machs ja.“
Kurz darauf schoss sie wieder mit ihrem kleinen Ford über den Hamburger Berg. Im Kopf hatte sie ihre Tour bereits etwas umgebaut, sodass sie schnell beim Eros — Center rausspringen und diesem Thorsten den Schlüssel zustecken konnte. Mehr war ja nicht zu tun. Sie belieferte also weiter ihre Kunden und drehte ihre Tour, bis sie von der Talstrasse aus auf die Reeperbahn abbiegen konnte. Direkt vor dem Laufhaus fuhr sie ihr Auto auf den Bürgersteig und sprang raus. Mit langen Schritten lief sie auf das Laufhaus zu. Sie fixierte die drei Typen vor dem Eingang und überlegte, wer Thorsten sein könnte.
„Mädchen, das ist ein Laufhaus. Keine Frauen!“ Der erste stellte sich ihr in den Weg.
„Moin erstmal,“ antwortete Maya. „Keine Sorge. Daran habe ich kein Interesse. Ich suche Thorsten. Ich habe etwas für ihn. Von seinem Bruder.“
„Thorsten hat heute frei. Der arbeitet erst morgen wieder, glaube ich.“
„Na super. Ich habe einen Schlüssel für ihn.“
„Tja, er ist nicht da.“„Sicher nicht? Lee, sein Bruder, meinte, er arbeitet heute.“„Lee? Nie gehört. Ich wusste nicht mal das Thorsten einen Bruder hat.“
„Warte mal,“ ein zweiter Türsteher, in Tank Top und behangen mit Kettchen mischte sich ein. „Kann sein, dass Thorsten im „Silbersack“ ist. Da hängt der oft, wenn er frei hat.“„Jetzt schon?“ Maya schaute demonstrativ auf ihre Uhr.
„Naja, wenn er denn sonst nichts hat.“
Maya hatte die drei Türsteher vor ihrem Laufhaus stehen gelassen und mit ihrer Tour weitergemacht. Sie würde sicher nicht anfangen, den Kiez nach einem Thorsten abzugrasen. Sie hatte entschieden, später bei der Korallbar vorbeizufahren und Lee den Schlüssel wiederzugeben. Was sollte sie auch anderes tun. Den Schlüssel lag neben ihr auf dem Beifahrersitz und sie beschäftigte sich nicht weiter mit ihm.
Zum Ende ihrer Tour fuhr sie noch bei Susi vorbei und heimste mal wieder eine Portion Pommes ein. Aus irgendeinem Grund bekam sie von Susi immer Pommes mit Mayo und hatte nie dafür zahlen müssen. Susi strahlte, sobald Maya vor ihrer Wurstbude hielt und egal wie viele Kunden warteten, Maya bekam immer sofort ihre Pommes. Dann saß sie in ihrem Ford, verschwitzt und mit brennenden Füßen und machte für sich ein Häkchen hinter den Arbeitstag. Den Weg zurück zur Garage, fuhr sie dann im Schneckentempo und musste dann auch nur noch tanken und den Wagen ausräumen. Aber jetzt lag da dieser Schlüssel auf dem Beifahrersitz. Maya stellte den leeren Pappbecher mit Mayo Resten daneben und drückte das Gaspedal wieder durch.
Vor der Korallbar haute sie die Bremsen rein. Die Tür war zu und die Rollos unten. Die Bar war zu.
Sie hämmerte gegen das Rollo. Und rief nach Lee. Aber da kam keine Antwort.
Kurz entschlossen sprang sie wieder in den Ford. Dann also doch zum Silbersack.
Die Kneipe war fast leer. Es stank dennoch nach Rauch, nach Zigarre und kalter Bierpfütze.
„Heiß hier wer Thorsten?“ Maya wedelte den Schlüssel in der Hand. „Ich hab hier was von seinem Bruder.“
„Moin erstmal.“ Ein Typ in einer schwarzen Lederweste, mit langen grauen Haaren, übersäht von Tattoos, drehte sich vom Tresen weg und ihr zu. „Ich bin Thorsten. Und wer bist du?“
„Maya.“ Sie ging zu ihm. „Den hat mir Lee gegeben.“ sagte sie und legte den Schlüssel neben den Aschenbecher vor Thorsten.
„So. Lee hat dir den gegeben.“ Thorsten starrte den Schlüssel an. „Woher kennst´ n Du Lee?“
„Ich kenne Lee nicht. Aber…, ach ist doch egal. Nimm den Schlüssel, dann kann ich Feierabend machen.“
„Nee, Nee, Nee, ma nicht so zackig jetzt.“ Thorsten starrte weiter auf den Schlüsselbund.
„Was hat´ n Lee noch gesagt zu dir?“
„Nichts,“ Maya wurde pampig, „nichts hat er gesagt. Er wollte mir einen Fünfziger geben, damit ich dir den Schlüssel bringe. Ich hab dich gesucht. Deine Kollegen am Laufhaus haben mir den Tipp gegeben, dass Du vielleicht hier bist. Was Du ja bist. Also nimm den Schlüssel, dann bin ich weg. Ich habe nämlich Feierabend.“
„Na jetzt puste ma durch. Hast mich ja gefunden. Willst ´n Bier?“
„Ne, ich muss noch fahren.“
„Sag ich doch: willst ´n Bier?“
„Ich will, dass du den Schlüssel nimmst. Ich trink mein Bier woanders.“„Oh zu fein für den Laden hier, was?“
„Das habe ich nicht gesagt.“„Dann trink zu Hause, aber den Schlüssel nehm ich nicht.“
„Nee Thorsten, nee, du machst jetzt keine Zicken, bitte. Eure Familiengeschichte ist mir gerade wurscht. Nimm bitte einfach den Schlüssel.“
„Was weißt Du denn über meine Familie? Lass den Schlüssel doch liegen. Was geht’s dich an, ob ich den nehme oder nicht.“„Nimm ihn bitte in die Hand, dann weiß ich, ich hab getan, worum Lee mich gebeten hat.“
„Hat er denn gesagt, ich muss den in die Hand nehmen?“
„Geben soll ich ihn dir.“
„Hast Du doch. Hier liegt er.“
„Richtig geben.“
„Oh Mädchen wirklich. Du bist vielleicht eine Zecke.“
„Nimm jetzt bitte den Schlüssel. Lee war ganz aufgelöst deswegen. Irgendwas ist wohl mit eurem Vater.“
„Oh jetzt legst Du aber los. Jetzt machst Du aber die ganz großen Töpfe hier auf. Maya, oder wer Du auch bist. Gleich rein in die Familiensuppe, gleich rein.“
„Ok Thorsten. Eure Familiensache ist mir ziemlich gleich. Ich möchte nur das tun, worum dein Bruder mich gebeten hat.“
„Und ich brauch erst einen Schnaps und dann überlege ich, ob es meinem kleinen Bruder zusteht, mir den Schlüssel zu der Wohnung unseres Vaters einfach per Kurier, von einer Maya bringen zu lassen. Das ist nicht nur ein Schlüssel, das ist eine Botschaft, das ist eine Nachricht, die du bringst, du nichts ahnender Bote. Du kannst jetzt gehen und den Schlüssel hier lassen. Dein Auftrag ist erfüllt. Aber ich weiß noch nicht, ob ich den Schlüssel einstecke, oder hier liegen lasse. Das musst Du dann mit dir aushandeln, ob dir das reicht. Ansonsten: setz dich, trink ein Bier, lass gut sein und wir schauen mal, was noch so in mir passiert, wenn ich meinen Schnaps hatte und du mal durchgepustet hast.“
„Diesen Schlüssel habe ich sicher drei Jahre nicht gesehen,“ Thorsten rieb sich das Kinn und strich einen Bart glatt, den er nicht hatte. Er hatte seinen Schnaps getrunken und Maya ihr Bier. Für Minuten hatten sie geschwiegen.
„So lange? Wieso dann heute?“ Maya drehte den Kopf nach links, um Thorsten ansehen zu können.
„Das ist genau die Frage, die ich mir stelle, seit Du hier angekommen bist. Mit diesem Schlüssel. Wieso heute? Ich habe keine Ahnung.“„Was ist denn mit eurem Vater?“
Thorsten winkte über den Tresen nach einem neuen Schnaps.
„Was ist mit unserem Vater?“
„Wie wird das Wetter morgen?“
„Was?“
„Ich wollte nur testen, ob Du jetzt jede meiner Fragen wiederholst,“ Maya winkte nach einem frischen Bier.
„Du bist mir so eine.“„Also: was ist mit eurem Vater?“
„Er ist krank. Habe ihn das letzte Mal gesehen, als ich auch den Schlüssel zuletzt gesehen habe.“
„Also vor drei Jahren.“
„Ganz genau.“„Dann sag das doch.“„Du hast mich doch verstanden, oder nicht?“„Sag doch: vor drei Jahren, anstatt, als ich damals meinen linken Socken aus Versehen am rechten Fuß trug.“ Maya stürzte einen großen Schluck von ihrem Astra runter.
„Du bist mir so eine.“„Du wiederholst dich.“
„Das ist bei alten Männern so,“ Thorsten lachte. „Also: mein Vater, unser Vater ist krank und Lee und ich haben uns gemeinsam um ihn gekümmert. Bis, ja, bis, ich weiß auch nicht so recht. Bis wir damit aufgehört haben und nur noch Lee den Schlüssel hatte. Ich habe auch Lee seitdem nicht mehr gesehen.“„Gibt’s denn eine Frau zu dem Vater?“
„Zwei. Aber eine hat sich scheiden lassen,“ Thorsten tippte sich vor die Brust, „meine Mutter und die andere habe ich nie gesehen,“ Thorsten zeigte irgendwo hinter sich, „seine Mutter.“
Maya sagte nichts, sondern trank weiter ihr Bier.
„Was jetzt?“ Thorsten starrte auf den Schlüssel.
„Naja, wenn dein Bruder sich heute bei dir meldet, dir den Schlüssel so hochdramatisch zukommen lässt, dann heißt das wohl, dass du zu eurem Vater sollst, weil er wahrscheinlich deine Hilfe braucht und es ihm nicht gut geht.“„Ja siehst Du und da fängt mein Problem an: ich weiß nicht, ob ich ihnen helfen will. Meinem Vater nicht und Lee — tja. Schöne Scheisse.“
Maya sah ihn an. Und sprach dann aus, was sie sich schon länger überlegt hatte.
„Und was wäre, wenn ich dich fahren würde. Zu deinem Vater. Dann schaust Du kurz nach, was ist. Wenn’s ganz fies ist, rufst Du den Krankenwagen. Wenn er nur ein Glas Wasser ans Bett braucht, auch gut. Da holst Du dir kein graues Haar, wenn Du ihm das bringst. Und danach fahre ich dich wieder her und werfe den Schlüssel bei der Korallbar in den Briefkasten.“Thorsten schaute weiter auf den Tisch und auf den Schlüssel.
„Du bist mir ja eine,“ sagte er dann.
„Also was ist? Brauchst Du noch einen Schnaps zum drüber nachdenken?“„Das hatte ich mir gerade so überlegt, ja.“„Na dann her damit und weg damit.“ Maya winkte nach einem weiteren Klaren für Thorsten.
„Der Alte wohnt in Barmbek,“ sagte Thorsten als er sich anschnallte.
„Na dann, auf nach Barmbek. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn’s Altona gewesen wäre.“
Sie fuhren.
„Warum machst Du das?“ fragte Thorsten nach einer Weile.
„Frag mich nicht, ich weiß es gerade auch nicht.“ Maya scherte aus um einen Bus zu überholen.
„Musst Du so rasen?“„Ja,“ gab Maya zur Antwort und schaltete runter, in den dritten Gang. „Ich kann nicht langsam fahren. Weiß nicht, wie das gehen soll.“
Vor der Wohnung hielt sie an und scheuchte Thorsten aus dem Auto. Zehn Minuten später kam er zurück und setzte sich wieder auf den Beifahrersitz.
„Was ist? Fahr.“
Maya startete den Motor.
„Wie ist das Drama jetzt ausgegangen?“
„Kein Drama. Wir wollen Samstag Boule zusammen spielen.“
„Kommt Lee auch?“
„So wie es aussieht,“ Thorsten schnaufte heftig auf seinem Sitz.
„Moment mal,“ Maya verzichtete auf ein Überholmanöver, das sich ihr gerade so köstlich anbot. „Das wars? Ihr seht euch drei Jahre nicht, eben wars dir noch egal, wie es deinem Vater geht und jetzt…ist wieder alles Schlagsahne oder was?“
„Ne, Ja, irgendwie, wars…nett.“ Thorsten zappelte. „Bringst du mich wieder zum Silbersack, bitte?“
„Ja ist ja gut.“
Auf der Rückfahrt fing Thorsten plötzlich an zu erzählen. Er zeigte aus dem Fenster auf Häuser in denen er oder Freunde oder eine Partnerin mal gewohnt hatten. Oder er berichtete von seinen vielen Jobs, die er in Hamburg schon ausgeübt hatte. Fahrer war er auch mal gewesen. Allerdings mehr so Chauffeur und nicht Kurier. Der Unterschied war ihm wichtig, dass merkte Maya gleich. Sie stritten dann eine Weile darüber, ob es zwischen den beiden Tätigkeiten wirklich eine Hierarchie geben konnte und ob nicht beide Jobs eigentlich das gleiche waren. Thorsten machte den Punkt für sich, indem er sagte: „So wie Du fährst, wäre kein Kunde wieder bei dir eingestiegen. Niemals. Ruhe und Souveränität, das wollen die Schlipsträger.“ Maya hatte nur gesagt: „Meinen Flyern ist das gerade wurscht und mir wärs auch wurscht, wenn Du eine Krawatte tragen würdest.“ Aus irgendeinem Grund hatte Thorsten das wahnsinnig witzig gefunden und sich vor Lachen kaum mehr einbekommen. Am Silbersack angekommen, war er plötzlich wieder ernst geworden.
„Maya,“ setzte er an, „Maya, Du, ich muss mich bei dir bedanken. Nicht nur so mal ein Danke, sondern ein richtig großes Dankeschön. Du weißt ja nicht, wie grantig Menschen werden, wenn sie erstmal älter sind. Und dann macht man Sachen und weiß gar nicht wieso. Ich liebe meinen Bruder. Das hatte ich einfach vergessen. Und den alten Knurrhahn da in Barmbek, den mag ich ja auch irgendwo ein bisschen.“
„Ich habe das gerne gemacht. Frag mich nicht wieso.“
„Ja und weißt Du, ich wollte dich fragen, ob Du vielleicht mit uns drei komischen Vögeln Boule spielen möchtest?“
„Ja. Ja ich glaube darauf habe ich Lust.“
„Na das freut mich.“
„Wo denn?“
„Na hier. Du triffst mich am Samstag im Silbersack und dann kommt Lee mit meinem Vater und dann gehen wir runter an die Elbe und spielen da eine Runde. Was meinst Du?“
„Das klingt ziemlich gut.
„Dann? Bis Samstag?“
„Bis Samstag, Thorsten.